Grotesk-Schriften im Trend der Zeit
Apple ist ein Trendsetter, wenn es um Design, Form und Funktion geht. Aber auch im Bereich von Schriftdesign gibt Apple Trends vor. Am Beispiel der Corporate Typografie in den letzten 20 Jahren wird das besonders deutlich. Hier sind gewisse Parallelen zwischen Apple und den Trends im Schriftdesign zu erkennen.
Ab 2002 setzte Apple für seine Verpackungen und Corporate Typografie die serifenlose Myriad ein. Sie ersetzte die bis dato führende serifenbetonte Apple Garamond. Die Myriad wurde 1992 von Robert Slimbach und Carol Twombly für Adobe Type entwickelt. Sie weist eine starke Nähe zur Frutiger auf. Beide Schriften sind sich sehr ähnlich. Im Bereich der Softwareoberflächen unter iOS und OS X war zuvor die Neue Helvetica Bestandteil der jeweiligen Betriebssysteme. Ab 2015 wurde die Myriad im Bereich der Corporate Typografie durch die San Francisco ersetzt. Ab iOS 9 und OS X 10.11 ersetzte die San Francisco dann auch die Neue Helvetica als Bestandteil des Betriebssystem. Die San Francisco ist eine eigens von Apple entwickelte Schrift. Sie ähnelt wiederum der Neuen Helvetica, weist aber im Einsatz auf Displays viele Vorzüge auf, die die Neue Helvetica aufgrund ihrer Historie nicht besitzt. So war der Wandel bei Apple von einer serifenbetonten Schrift zu einer serifenlosen Schrift.
Das Beispiel von Apple zeigt deutlich, dass die Markenentwicklung heute kein starres Korsett mehr ist. In knapp 20 Jahren hat Apple drei Corporate Types im Einsatz gehabt. Marken entwickeln sich wie Menschen weiter. Von Zeit zu Zeit kann hier durchaus eine Feinabstimmung notwendig sein, wenn zum Beispiel eine Schrift nicht mehr den Unternehmenswerten entspricht. Wir bezeichnen den Markenentwicklungsprozess als „Responsive Branding“. Marken stehen heute aufgrund der Digitalisierung vor vielen neuen Herausforderungen, in denen sich ein responsives Verhalten gegenüber den Zielgruppen, Märkten und Technologien als idealer Weg herauskristallisiert.
Serifenlose Linear Antiqua Schriften erleben derzeit eine neue Hochkonjunktur. Ich möchte hier nicht zwingend von einem Trend sprechen, sondern viel mehr von der Situation, dass es heute - im Vergleich noch zu vor 10 Jahren - mehrere gute Alternativen zur Helvetica gibt. Die Inspiration vieler Schriftdesigner liegt dabei in der von Max Miedinger entwickelten Neuen Haas, bzw. der Helvetica.
Die Helvetica ist heute eine der verbreitetsten und vermutlich auch am häufigsten eingesetzten Schriften überhaupt. Ihre Präsenz verdankt sie dem Siegeszug des PC. Neben der Arial wurde die Helvetica meist vorinstalliert mit dem jeweiligen Betriebssystem ausgeliefert. Sowohl auf dem Mac als auch unter Windows konnte die Helvetica sofort ohne zusätzliche Installation benutzt werden. So war es dann auch logisch, ob bewusst oder unbewusst, dass die Helvetica für unterschiedliche Designs oder auch Korrespondenz herhalten musste. Die Konsequenz daraus war für viele Unternehmen, dass eine seit Jahren genutzte Corporate Typografie keinerlei Differenzierung oder Alleinstellungsmerkmal mehr bietet. Auch die Argumentation, dass die Helvetica für die entsprechenden Unternehmenswerte stehen soll, war kaum noch ein tragbares Argument. Betrachten wir den Markt der Serifenlosen-Schriften, so finden sich viele extrem gute Alternativen zur Helvetica. Eins vorweg: Die Helvetica hat leider aufgrund ihrer hohen Verbreitung eher einen negativen Ruf, welcher in keiner Weise gerecht ist. Die Helvetica weist eine extrem hohe Qualität auf. Die Vielzahl an unterschiedlichen Schriftschnitten ermöglicht einen umfangreichen Einsatzbereich in der Gestaltung. Leider wie schon erwähnt, immer mit dem Nachteil, dass durch die Schrift kaum eine Differenzierung möglich ist.
Betrachten wir einmal die Entstehungsgeschichte der Helvetica, so stellen wir schnell fest, dass in der Zeit von 1950 bis Ende der 60er viele tolle und gute Schriften Ihren Ursprung in der Schweizer Typografie hatten. Max Miedinger, der als freier Grafiker arbeitet, bekam 1956 von der Haas‘schen Schriftgießerei den Auftrag, eine neue Grotesk Schrift zu entwickeln. Als Orientierung und Vorlage sollte die Akzidenz-Grotesk von Berthold und die Normale Grotesk aus dem Hause Haas dienen. Bereits 1957 präsentierte Max Miedinger die ersten Entwürfe einer neuen Grotesk-Schrift in einem halbfetten Schnitt. Damals noch unter dem Namen „Neue Haas Grotesk“. Der Name entstand durch den Auftraggeber der Haas‘schen Schriftgießerei. Bereits 1958 folgte dann der magere und 1959 der fette Schnitt. Aufgrund ihres Erfolges wurde die Schriftfamilie ab 1960 unter ihrem heutigem Namen Helvetica vertrieben. In diesem Zuge wurde die Schrift noch an die technischen Gegebenheiten der Matrizen für die Linotype-Setzmaschinen angepasst.
Die Helvetica entwickelte sich über die Jahre hinweg immer weiter. Einige Charakterzüge, die die ursprüngliche neue Haas noch hatte, wurden im Zuge der Weiterentwicklung entfernt oder verändert. Im Jahr 1983 entwarf die D. Stempel AG für die Linotype AG aufgrund der Fotosetzmaschinen die Neue Helvetica. In diesem Zuge wurden die einzelnen Schriftschnitte neu gezeichnet und aufeinander abgestimmt. Die Schriftfamilie umfasst heute 51 Schnitte.
Die Helvetica war eine Inspiration für viele Schriftgestalter. Im Laufe der Zeit tauchten viele ähnliche Schiften auf. Selbst Max Miedinger entwarf 1961 die Schrift Swiss, die der Helvetica sehr nahe war. Diese Schrift wurde zum Beispiel mit dem Softwarepaket CorelDraw Graphics Suite ausgeliefert.
Helvetica Now
Das Monotype Studio begann im Dezember 2014 mit der Planung und Gestaltung der neuen Helvetica Now. Der Anspruch der Helvetica Now war, dass sie den heutigen Bedürfnissen der Designer und Kreativen gerecht werden soll. Jede Glyphe der Helvetica Now wurde dabei komplett neu in den drei optischen Größen Micro, Text und Display gezeichnet. Zusätzlich entstanden noch viele Alternativformen. In einer Zusammenarbeit von Dutzenden Designern und Ingenieuren entstand eine neue und zeitgerechte Interpretation der Helvetica. Die Helvetica Now wurde 2019 von Monotype veröffentlicht.
Eine neue Schrift für ein neues Zeitalter
Die Arial wurde ebenfalls in den 80er Jahren entwickelt. Die beiden Schriftgestalter Robin Nicholas und Patricia Saunders entwarfen für Monotype eine alternative Groteskschrift, die auf niedrigauflösenden Monitoren besser lesbar ist, als die verbreitete Helvetica. Microsoft lieferte ab der Windows Version 3.1 die Arial als Bestandteil des Betriebssystems aus. Die Arial ist nicht wie von vielen behauptet, eine Kopie der Helvetica. Die Metriken der Arial wurden so umgeformt, dass diese der Helvetica entsprach. Die Buchstaben weisen aber unterschiedliche Formen und Grauwerte im Schriftbild auf.
Die Wiedergeburt des Klassikers
Das Original der Helvetica, die Neue Haas wurde als reine Bleisatz-Schrift für die Größen von 5 bis 72 Punkt entwickelt. Die Helvetica entfernte sich aufgrund ihrer Weiterentwicklung immer mehr von ihren ursprünglichen Wurzeln der Neuen Haas. Viele markanten Merkmale der Neuen Haas wurden verändert oder gar entfernt. Christian Schwartz wurde 2004 von Linotype beauftragt, die Neue Haas auf Grundlage der ursprünglichen Entwürfe von Max Miedinger neu zu zeichnen. Bis 2010 entwickelte Christian Schwartz die Neue Haas. Das Ergebnis: 22 Schnitte.
Die Helvetica und die Neue Haas zählt sicherlich zu einem der Meilensteine in der Schriftentwicklung. Im gleichen Atemzug muss hier auch die Frutiger und die Univers genannt werden. Beide Schriften sind ebenfalls absolute Highlights im Bereich der serifenlosen Grotesk Schriften.
Ein wesentlicher Unterschied der Frutiger und der Univers ist im Gegensatz zur Helvetica, dass beide Schriften nicht vorinstalliert auf einer der beiden Betriebssystemen von Mac OS oder Windows waren. Daher war die Verbreitung der Schriften nicht durch ein Betriebssystem getrieben. Für mich ist die Frutiger der Inbegriff für perfekte Lesbarkeit und Typografie. Ich habe bis heute keine Schrift gefunden, die eine ähnliche Qualität in der Form, Rundung und Geometrie aufweist. Adrian Frutiger ist für mich der größte Typograf, der die Schriftentwicklung ein halbes Jahrzehnt prägte.
Die Frutiger findet heute aufgrund ihres perfekten Schriftbildes einen breiten Einsatz im Corporate Design bei vielen Unternehmen. Die Frutiger begleitet auch die zeroseven design studios über ein knappes Jahrzehnt als Corporate Type.
Im Zuge unserer Weiterentwicklung hinterfragten wir die Frutiger als Corporate Type. Das Ergebnis haben wir in einem eigenen Blog-Beitrag "Typografische Neuausrichtung der zeroseven design studios" festgehalten.
Wie bereits erwähnt, war die Zeit zwischen 1950 bis Ende der 60er Jahre stark durch die Schweizer Typografie geprägt. Viele bekannte Typografen wie zum Beispiel Max Miedinger, Adrian Frutiger, Josef Müller-Brockmann oder auch Max Bill stammten aus dieser Zeit. Das Kennzeichen der Schweizer Typografie sind klare Gestaltungsraster, sachliche Darstellungen, viel Weißraum und der Einsatz von Groteskschriften mit möglichst wenigen Schriftgraden.
Ein prägender Einfluss der Schweizer Typografie kam durch das Bauhaus. Max Bill lehrte neben dem Bauhaus auch an der HfG in Ulm. Die Hochzeit der Schweizer Typografie lag ab den 50er Jahren über knapp zwei Jahrzehnte hinweg.
Weiterführende Beiträge zum Thema Typografie finden Sie in unserem Blog unter:
- Fontlabels und Typefoundrie
- Alternative Schriften zur Helvetica Teil 1
- Alternative Schriften zur Helvetica Teil 2
- Alternative Schriften zur Helvetica Teil 3
- Gängige Fontformate
- Grotesk-Schriften im Trend der Zeit
- Große Typografen: Adrian Frutiger
- Große Typografen: Stanley Morison
- Große Typografen: Otl Aicher
Ich freue mich, Sie mit diesem Blogbeitrag zu inspirieren, die Welt durch einzigartiges Design mitzugestalten.